Relevanz und Prinzipien von Web Accessibility

Laut Statistik Austria haben etwa 18% der Personen in Österreich eine psychische oder physische Behinderung. Diese mehr als 1.5 Mio Menschen stoßen bei der Nutzung des Internets und anderen Informationstechnologien immer wieder auf gewisse Barrieren, die ihnen die gleichberechtigte Teilhabe an diesen Technologien erschweren oder gar unmöglich machen.

Digitale Barrierefreiheit ist daher ein wichtiges Thema, denn nur so kann für Gleichberechtigung und Inklusion in der Welt des Internets gesorgt werden. Es wird also auch Menschen mit visuellen, auditiven, kognitiven oder motorischen Beeinträchtigungen die Nutzung von diversen Plattformen und Online-Tools ermöglicht bzw. vereinfacht, egal ob ihre Beeinträchtigungen temporär oder permanent sind.

Doch die Umsetzung von Web-Accessibility-Maßnahmen ist auch für die allgemeine User-Experience von großem Vorteil! Das Autocomplete-Feature von Google, Untertitel bei Filmen oder die Sprachsteuerung von high-end Haushaltsgeräten erleichtern jeder Nutzer*in das Leben und wurden durch den Gedanken der Barrierefreiheit inspiriert. Auch der positive wirtschaftliche Effekt ist nicht zu ignorieren: Die Einhaltung gewisser Barrierefreiheit-Standards ermöglicht es, eine größere Zielgruppe zu erreichen.

Hier findet ihr Informationen zu den gesetzlichen Grundlagen, die in Österreich gelten, und den Prinzipien der WCAGs (also die “Web Content Accessibility Guidelines” des World Wide Web Consortiums). Außerdem haben wir mit unserer UX-/UI-Designerin Monika Haider gesprochen, die langjährige Erfahrung im Bereich der Barrierefreiheit vorweisen kann. Ihre für euch gesammelten Tipps und Vorschläge zur konkreten Umsetzung der wichtigsten Maßnahmen findet ihr weiter unten im Blogpost. Spätestens nach dem Lesen dieses Blogs wisst ihr, warum Barrierefreiheit und Web Accessibility gerade jetzt so wichtige Themen sind!

Was sind die WCAGs?

WCAG steht für Web Content Accessibility Guidelines und bilden ein Leitbild, an dem sich Web-EntwicklerInnen und -DesignerInnen orientieren können, um ihre Inhalte möglichst barrierefrei zu gestalten.Insgesamt sind 12 Guidelines in den WCAG 2.2 verankert, basierend auf vier Prinzipien.

 

Die 4 Prinzipien der WCAG

  • Wahrnehmbarkeit: Der eigene Online-Auftritt muss von diversen User*innen wahrgenommen werden können. In diesen Bereich fällt unter anderem das Bereitstellen von Alternativtexten bei Grafiken, das Einfügen von Video-Untertiteln und die Erzeugung eines klaren visuellen Unterschieds zwischen dem Seitenvorder- und dem -hintergrund.
  • Bedienbarkeit: Sämtliche Bereiche der Website müssen auch für Personen mit dauerhaften oder temporären Beeinträchtigungen bedienbar sein. Eine bedeutende Richtlinie dieses Prinzips stellt die vollständige Tastaturbedienbarkeit von Webseiten dar. Bei eventuellen Zeitlimits muss den Nutzer*innen genügend Zeit zum Lesen und Verwenden der Inhalte gewährt werden. Es dürfen außerdem keine Bilder oder Inhalte verwendet werden, die (z.B. epileptische) Anfälle auslösen könnten.
  • Verständlichkeit: Die Informationen einer Website sowie deren Bedienung müssen verständlich sein. Texte sollten informativ sein und ungewöhnliche oder schwer übersetzbare Begriffe sollten durch einfachere Alternativen ersetzt werden. Ebenso bedeutsam ist die Vorhersehbarkeit der Funktionsweise einer Webseite und das Bereitstellen von Hilfestellungen bei Eingaben. Ein klassisches Beispiel dafür sind genaue Angaben, in welcher Form Zahlen richtig in ein Online-Formular eingegeben werden müssen.
  • Robustheit: Unter Robustheit versteht man in diesem Zusammenhang die technische Kompatibilität des Webauftritts. Die Inhalte müssen auch von Screenreadern, Brailledisplays und Vergrößerungssoftware ausgelesen werden können.

Für die einzelnen Guidelines gibt es insgesamt 78 sogenannter Success Criteria, also testbare Erfolgskriterien zur umfangreichen Überprüfung des Levels der Barrierefreiheit eines Online-Produktes. WCAG 3.0, eine umfangreich überarbeitete nächste Version der WCAG, wird in den nächsten Jahren fertiggestellt. Die erfolgreiche Umsetzung jedes einzelnen Kriteriums auf einer einzigen Website ist aber eher illusorisch. Bei der Webgestaltung dürft ihr jedoch das übergeordnete Ziel nicht aus den Augen verloren werden: Mit der Barrierefreiheit wird das Ziel verfolgt, möglichst viele Hindernisse zu entfernen oder zu minimieren.

Die wichtigsten Maßnahmen für digitale Barrierefreiheit

Monika Haider, UX-/UI-Designerin bei WP-Stars und Expertin in Barrierefreiheit rät zur Umsetzung folgender Web-Accessibility-Maßnahmen:

  • Tastaturbedienbarkeit: Die Tastaturbedienbarkeit spielt für Monika eine wichtige Rolle: „Das ist einer der Punkte, die bei der Barrierefreiheit oft zu wenig oder gar nicht beachtet werden. Allerdings nutzen immer mehr Menschen beim Navigieren die Tabulator-Tasten. Die User*innen, die sich auf diese Weise auf der Website bewegen, müssen stets wissen, welches Seitenelement sie gerade angesteuert haben. Dies ist vor allem beim Anklicken von Bildern, Links und Buttons von Relevanz. Optische Hervorhebungen (zum Beispiel ein oranger Rahmen um einen Link) vereinfachen die Tabulator-Navigation immens.“
  • Struktur und Schriften: Die Seitenstruktur dient der Usability und der Barrierefreiheit. Die einfache Bedienbarkeit ist ein Prinzip der WCAG-Leitlinien und kann nur durch einen klaren, einheitlichen Website-Aufbau gewährleistet werden. Beim Thema Schriften weist Monika auf zwei wichtige Aspekte hin: „Im Sinne der Barrierefreiheit empfehle ich stets den Einsatz von serifenlosen Schriften, wobei gleichzeitig darauf geachtet werden muss, dass die Schriftgröße anpassbar ist. Das ist notwendig, damit Vergrößerungssoftware optimal genutzt werden kann.“
  • Alternativtexte: Alternativtexte bei Fotos und Grafiken sind zu einem Must-have beim professionellen Webdesign geworden. Nur so können blinde oder sehbeeinträchtigte Menschen die visuellen Informationen, die vermittelt werden, auch wahrnehmen. Aber auch wenn der Browser das Anzeigen von Grafiken oder Fotos blockiert, versorgen die Alternativtexte die User*innen mit den notwendigen Informationen und verringern damit zusammenhängende Website-Exits.
  • Barrierefreiheit und SEO: Die korrekte Formatierung des Webtexts in Überschriften (H1, H2, …), Fließtext, Aufzählungen und Nummerierungen ist fixer Bestandteil der technischen SEO und vereinfacht den Webcrawlern das Auslesen der Webseiten. Gleichzeitig sind diese Formatierungen eine Unterstützung für Screenreader: Auf diese Weise wird den Nutzer*innen nicht alles als langer Fließtext ohne Struktur vorgelesen.
  • Barrierefreie Dokumente: „Wenn ihr auf eurer Website Dokumente zum Download anbietet, beispielsweise PDF-Informationsbroschüren, müsst ihr auch bei deren Layout und Formatierung auf die Barrierefreiheitsstandards achten. „Hierbei gilt es, einen ganzheitlichen Blick zu beweisen und die Barrierefreiheit bei allen Angeboten berücksichtigen.“, sagt Monika und macht erneut deutlich, wie viele Facetten das Thema digitale Barrierefreiheit hat.
  • Inhalte von Dritten: Bevor ihr Inhalte von Dritten auf eurer Website einbettet, müsst ihr diese auf Barrierefreiheit überprüfen. Monika rät euch Folgendes: „Bei Videos solltet ihr zum Beispiel darauf achten, dass korrekte Untertitel verfügbar sind. Im besten Fall fügt ihr neben dem Video noch einen kleinen Erklärtext ein, damit alle User*innen verstehen, dass der nachfolgende Inhalt aus einer audiovisuellen Quelle stammt. Die Best-Practice-Variante sieht außerdem ein zusätzliches Video in Gebärdensprache vor.
  • Fortlaufendes Teamprodukt: Das Schaffen von digitaler Barrierefreiheit ist ein fortlaufender Prozess, da sich die Web-Standards im stetigen Wandel befinden. Auch Updates von CMS-Systemen oder Plug-ins können ein Nachschärfen bei der Barrierefreiheit notwendig machen. Ebenso dürft ihr nie vergessen, dass die Web Accessibility ein wichtiges Anliegen für alle am Webauftritt beteiligten Personen darstellen muss, damit diese tatsächlich effektiv umgesetzt werden kann. Sowohl auf der Kunden- als auch auf der Agenturseite muss klar sein, warum in diesen Bereich finanzielle sowie personelle Ressourcen investiert werden.
  • Überprüfung der Barrierefreiheit: Für eine optimale User Experience muss die Barrierefreiheit eurer Webseiten in regelmäßigen Abständen kontrolliert werden. Hierfür stehen euch zahlreiche kostenlose Online-Tools, wie zum Beispiel das „WAVE Web Accessibility Evaluation Tool“ oder die Chrome-Erweiterung „ARC Toolkit“, zur Verfügung.

Gesetzliche Lage zu Barrierefreiheit im Netz

In Österreich ist Barrierefreiheit im Internet für öffentliche Stellen durch das Web-Zugänglichkeits-Gesetz (WZG) aus dem Jahr 2019 geregelt. Das WZG regelt neben den Anforderungen an die Barrierefreiheit für die Webseiten und mobilen Anwendungen des Bundes auch Maßnahmen wie das Berichts- und Dokumentationswesen und die Überprüfung der Einhaltung der Standards.

Für Privatunternehmen gilt derzeit noch kein solches Gesetz, doch das ändert sich bald! Der von der EU beschlossene European Accessibility Act (EAA) tritt 2025 in Kraft und verpflichtet alle Unternehmen, die Software, Hardware und/oder digitale Dienste verkaufen, sich in Zukunft an die national gesetzlich geltenden Barrierefreiheit-Standards zu halten. Das heißt, es dürfen grundsätzlich nur noch barrierefrei gestaltete Produkte auf den Markt gebracht werden. Ausnahmen gelten nur, wenn sich dadurch das Wesen des Produktes grundlegend ändern würde, allerdings muss das begründet werden.

Jetzt besteht Handlungsbedarf!

Das europäische Gesetz zur Barrierefreiheitsstärkung tritt mit dem 28. Juni 2025 in Kraft. Sowohl aus ethischer als auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht muss also bereits jetzt in die Umsetzung von Online-Barrierefreiheitsmaßnahmen investiert werden! Ein Relaunch ist hier eine gute Gelegenheit: Das nachträgliche Umgestalten von bereits bestehenden Webprojekten ist wesentlich teurer und umständlicher, als wenn das Konzept der Barrierefreiheit gleich bei der Planung berücksichtigt wird.

Das Bereitstellen von barrierefreien Funktionen und Content ermöglicht es euch, das volle Potenzial eurer Zielgruppen auszuschöpfen. Auch das Nutzungserlebnis anderer Gruppen wird nämlich maßgeblich verbessert: Web-Accessibility-Maßnahmen wie etwa die leicht verständliche Bedienung sind ausschlaggebend für die Zufriedenheit von Nutzern im Alter von 50+ Jahren.

Durch die Beachtung von Web-Accessibility-Standards könnt ihr schon jetzt wertvolle Wettbewerbsvorteile schaffen und gleichzeitig beweisen, wie ernst ihr eure gesellschaftliche Verantwortung als Unternehmer*innen nehmt. Die soziale Verantwortung von privaten Unternehmen und Organisationen gewinnt in der Öffentlichkeit weiter an Relevanz – mit einem barrierefreien Web-Angebot setzt ihr ein wertvolles Zeichen für Gleichberechtigung!

 

Link zum Interview: https://wp-stars.com/interview-with-website-accessibility-expert-lazar-bulatovic/

 

Quelle: wp-stars.com